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Post Mortem

Eine Situation, von der ich hoffe, dass sie nie jemand von uns je erleben muss: Wir müssen entscheiden, ob die lebenserhaltenden Maßnahmen einer uns möglicherweise nahestehenden Person beendet werden sollen. Gut, wenn man vorher darüber gesprochen hat. Schlecht: Das Gefühl, das man hat, wenn jemand mit einem darüber sprechen will. Denn am Ende steht man alleine da und muss entscheiden, muss das kleinere Übel wählen zwischen das Leben eines Lieben beenden und eine vielleicht geistlose Hülle dahinsiechen lassen, in der Hoffnung, dass Hoffnung bestehen könnte.

Ich weiß nicht, was Bewusstlosigkeit wirklich bedeutet, ob man träumt, ob das “man”, das Selbst, in dem Moment überhaupt existiert. Ich weiß ebenfalls nicht, wie sich Tod anfühlt.

Nehmen wir an, du wärst in der traurigen Situation, über das Weiterleben eines Menschen zu bestimmen. Nehmen wir weiterhin an, dass es absolut keine Möglichkeit gibt, dass er wieder erwacht, und du dies hundertprozentig wüsstest. Würdest du dann trotzdem seinen Leib am “Leben” erhalten wollen, mit diesem in der echten Welt so seltenen Geschenk der absoluten Gewissheit?

Nein?

Warum hast du dann bei Impetus geklickt?

Oh, wahrscheinlich hast du das gar nicht. Impetus lief nur 11 Stunden, davon größtenteils nachts, und außerhalb meines Twitterfeeds fiel es wahrscheinlich leicht, nichts davon zu hören.

Aber wenn du geklickt hast, um ihr Leben um 10 Sekunden zu verlängern, dann wahrscheinlich aus dem gleichen Grund wie ich: Weil da ein Knopf war. Wir als Spieler sind durch die Bank die unerträglich neugierigen Nebencharaktere, die immer alles anfassen, drücken, drehen und öffnen müssen. Und wir lernen auch nichts daraus, weil bei uns eben keine grauslichen Dämonen freigesetzt werden, sondern sich meistens nur eine Tür öffnet oder so – unser aller Skinnerbox lehrte uns, positives Feedback zu erwarten, alles andere wäre schlechtes Spieldesign. Und wir tun ja auch augenscheinlich Gutes: Wir halten den Tod fern, für 10 Sekunden pro Klick. Auch wenn wir wissen, dass Impetus nie wieder erwachen wird.

Und denkt man einen Moment darüber nach, ist das etwas sehr Poetisches: Gegen das Unvermeidliche ankämpfen, dem Schicksal ins Gesicht spucken, Sandburgen gegen die Flut verteidigen, wohlwissend, dass man schlussendlich verlieren wird. Und sich im Nachhinein trotzdem besser fühlen, als wenn man nichts getan hätte. Weil Kämpfen manchmal wichtiger ist als Siegen.

Urgh, kognitive Dissonanz.

Impetus starb nach fast 12 Stunden an, wenn ich das richtig mitgekriegt habe, einem technischen Defekt – Serverüberlastung. Zu viele Menschen, die helfen wollten. Vielleicht der schönste Tod, den sie sich wünschen konnte.